Montag, 1. Dezember 2008

Leaving Kapstadt - Reisebericht Teil 4

MichaelSonntag Morgen um 8 verließ ich mein schönes Guesthouse in den Weinbergen. Zum letzten Mal setzte ich den Corsa rückwärts, wartete, bis sich das elektronische Tor öffnete und fuhr hinaus. Michael stand in der Einfahrt und winkte. "Goodbye, maybe you´ll come back one day. Have a good trip". Als sich das Tor hinter mir schloss, musste ich weinen. Ich mochte ihn. Der Abschied fiel mir schwer. Laut Plan sollte es ja nun erst richtig losgehen mit Afrika. Ich wollte in die Wüste. Dahin, wo kein Tourist sich verirrte. Einsamkeit und Weite erfahren. Doch nun war mir mulmig. Ich hatte jetzt keine Anlaufstelle mehr, kein sicheres, rund um die Uhr bewachtes Zuhause mit Pool, Parkplatz und King Size Bed. Keinen Michael, der, wenn ich nach Hause kam, im Flur stand und fragte: "Hi Sabin, how was your day?" Alles, was ich hatte, war mein Auto und mein Gepäck. Wo ich die nächste Nacht schlafen würde, wußte ich noch nicht. Was, wenn mein Wagen liegen blieb? Was, wenn ich meine Papiere verlor? Es nicht rechtzeitig zur nächsten Tankstelle schaffte? Vor Einsetzen der Dunkelheit kein Bett zum Schlafen fand? Man mich überfiel? Vielleicht sollte ich die Geschichte abblasen und doch lieber den straighten Weg auf der Hauptautobahn nehmen. Am liebsten jedoch wollte ich hier bleiben. Ich fühlte mich allein.

Die meisten Südafrikaner sind sehr gläubig, ob Schwarz oder Weiß. Sonntags gehen alle in die Kirche. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen christlichen Gemeinden - Anglikaner, Methodisten, Reformierte und viele mehr. Ich war in den letzten Tage öfter an einer Kirche direkt an der Hauptstraße vorbei gekommen. Da standen immer viele Autos. Sunday Service fing dort sonntags um 8.30 Uhr an, zeitlich passte das ganz gut.

Verheult kam ich um kurz vor halb 9 bei der People´s Church in Constantia an. Wenn die Gottesdienste hier so sind, wie ich es aus Amerika kannte, dann fällt das gar nicht auf, dachte ich, weil spätestens nach 10 Minuten sowieso die ersten Tränen fließen. Der Gottesdienst war so wie in Amerika. Wo bei uns der Altar steht, befanden sich Schlagzeug, E-Gitarre, Keyboard, Bass, und Mikrofone. Im Hintergrund lief flotte Musik mit christlichen Texten. Alle begrüßten sich mit Handschlag, nahmen auf den Sitzen Platz und wippten schon mal locker im Takt mit. Um kurz nach halb 9 betrat ein attraktiver, junger Typ die Bühne. "I hope you all had a good night at this wonderful morning. So stand up, we wanna sing." Alle standen auf, Musiker und Chor betraten die Bühne und zack: los ging es. Gesungen wurden christliche Popsongs, die anscheinend alle kannten. Praktischerweise wurden die Songtexte aber auch auf einem riesigen Flachbildschirm direkt über dem "Altar" angezeigt. Das Kreuz hing etwas weiter links. Beim ersten Lied streckten die ersten Leute den rechten Arm nach oben. Beim zweiten schneuzten die ersten in ihre Taschentücher. Gemeinde und Chor sangen inbrünstig, voller Emotionen, mehrstimmig und GUT! Beim Refrain des dritten Songs waren auch die letzten Hände oben.

Danach betrat der Pastor die Bühne, er trug sein schwarzes Hemd lässig über der cremefarbenen Bundfaltenhose. Es sollte heute in der Predigt um das Thema "Do not waste the grace of God" gehen. Viele holten ihre Bibel aus der Tasche und schlugen die entsprechende Stelle auf. Wer keine Bibel zur Hand hatte, konnte den Vers auf dem Fernsehbildschirm lesen. "Do not waste the grace of God", was bedeutete das nun? Der Prediger erklärte es uns: frei sprechend, charismatisch, mit vielen Beispielen, die alle aus ihrem Leben kannten. Die Leute machten sich Notizen. "Do not waste the grace of God. God gives you all that you need. He gives you talents and he gives you strength. Don´t let that be in vain. He wants you to make the most of it. He does not want you to STAY in your comfort zones, he wants you to GO. So, be faithfull, have confidence and take risks."

Alles klar: Natürlich würde ich in die Wüste fahren. Nichts konnte ich in diesem Moment mehr brauchen als den Segen des glatzköpfigen, charismatischen Mannes mit dem schwarzen Hemd und der Bundfaltenhose. Was ich auch brauchen konnte, war einen starken Kaffee und einen Toast mit Käse und Schinken.

An der letzten Raststätte hinter Kapstadt besorgte ich mir beides. Ich zog mir eine bequeme Hose sowie ein luftiges Shirt an und fuhr Richtung Namibia.